Die Angst vorm Scheitern

Zwei Socken zu haben ist angesichts der Tatsache, dass der Mensch üblicherweise über zwei Füße verfügt, eine grundgute Angelegenheit. Wenngleich eine mit einem gewissen Optimierungspotenzial.

Mein konkretes Unbehagen verdanke ich dem Umstand, dass sich meine beiden Socken in keiner Weise ähneln. Garn, Strickmuster, gewählte Fersenart und Maße weisen sie deutlich als zwei nicht zusammen gehörende Strickprojekte aus. Kurzum: Ich produziere Singles.

Ein erfahrener Coach würde jetzt sofort fragen: "Was vermeiden Sie?" Und die ehrliche Antwort wäre: "Zu scheitern." Solange ich nur eine einzelne Socke stricke,  fühle ich mich sicher. Den Umgang mit dem Nadelspiel werde ich schon bewältigen. Auch die Anleitung für die mir fremde Fersengestaltung werde ich irgendwie entschlüsseln - und zur Not stricke ich halt zurück und korrigiere. Ob das Muster so herauskommt wie es gedacht war: Wer will das beurteilen, ohne Vergleichsexemplar? Und ob ich zu locker oder zu fest stricke: Auch egal, wird die Socke eine Nummer größer als geplant erkläre ich sie halt als für ein anderes als das ursprünglich angedachte Familienmitglied bestimmt. Ich habe da Auswahl in allen Schuhgrößen.

Eine zweite, baugleiche Socke zu produzieren birgt hingegen Gefahren in sich. Wenn jetzt das Bündchen enger wird als das erste, wird es beim Träger unangenehm drücken. Womöglich sitzt die eine Socke gut, während die andere beständig rutscht und zum Ärgernis wird. Wenn jetzt das Maschenbild anders ist, fällt der Kontrast auf. Und wenn ich die exakten Maße der vorangegangenen Socke verfehle, wäre die Wolle zu Ende ohne ein tragbares Paar geschaffen zu haben.

Socken zu stricken, das ist aber doch keine hohe Kunst. Noch in der Generation meiner Mutter hat das jedes Mädchen im Schulunterricht gelernt. Und es entspräche nicht meinem Anspruch an mich selbst, daran zu scheiteren.

Was tun? Den Einzelsocken weiterhin den Partner verweigern? Nein. Wachsen kann man an den ungewöhnlichsten Erfahrungen und manche Abenteuer finden in sehr alltäglichen Situationen statt. Mir scheint, meine Lernaufgabe ist grad diese. Und überhaupt:
Ich kenne so wenig Einbeinige.

Kommentare

  1. Es gibt auch die Technik, beide Socken gleichzeitig auf einer Rundstricknadel zu stricken... :)

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  2. Ich habe inzwischen einen anderen Weg gefunden: So teuer ist ein zweites, baugleiches Nadelspiel nicht und ich kann komfortabel beide Socken abwechselnd wachsen lassen. :-)

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